Nicht alle afrikanischen Kinder, die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nach Deutschland gebracht wurden, erfuhren dieses Schicksal gegen ihren Willen. Manche wurden auf ausdrücklichen Wunsch ihrer Eltern dorthin geschickt. Diese Eltern gehörten oft zur wohlhabenden Elite in Kamerun und Togo und strebten für ihre Kinder eine gehobene Bildung im kolonialen Mutterland an. Dies traf auf den ca. 1879 in Douala[1] (Kamerun), geborenen Mpondo Akwa, den Sohn des Königs Dika Akwa, zu.[2] Im Jahr 1888 wurde er im Alter von ungefähr neun Jahren nach Paderborn geschickt. Dies geschah gemeinsam mit drei anderen Jungen, die von Regierungssekretär Franz Anton Schran[3] nach Deutschland gebracht wurden. In Paderborn besuchte Mpondo Akwa als Schüler eines Pensionats die ‚Höhere Bürgerschule‘ von Heinrich Reismann und später eine Privatschule.[4] Er wurde zu einem angesehenen Gast der Oberschicht in der Stadt und ihrer Umgebung.[5] Jedoch wurden er und die anderen Jungen auch häufig verspottet und verhöhnt. Kurz nach ihrer Ankunft kam es sogar zu tumultartigen Auseinandersetzungen, wenn die kamerunischen Jungen von den Bürgern und Bürgerinnen betrachtet wurden. Eine Ausgabe des Westfälischen Volksblatts vom 15.06.1888 spekulierte sogar, dass die Jungen sich angesichts des Verhaltens der Paderborner als überlegene Menschen fühlen müssten, obgleich sie doch Wilde seien.[6]
Auf der ersten Schule, die er besuchte, fühlte Mpondo Akwa sich nicht wohl. Die Lehrer an der Reismannschule hielten ihn für arrogant, da er oft schlecht gelaunt gewesen sei. Infolgedessen bat er seinen Vater, für einen Schulwechsel zu sorgen, und zwar an eine Privatschule in Rheindahlen.[7] Einer seiner Lehrer hier vermutete, dass die früheren Lehrer*innen von Mpondo Akwa an der Reismannschule ihn möglicherweise zu rasch als stolz und arrogant eingeschätzt hätten. In seiner neuen schulischen Umgebung dagegen blühte der Prinz auf und erzielte herausragende schulische Leistungen.[8]
1893 kehrte Mpondo Akwa über Kiel nach Douala zurück, wo er auf Grund seiner Auslanderfahrungen für seine ethnische Gemeinschaft eine Berühmtheit darstellte.[9] Zeitweise arbeitete er als Übersetzer für die deutsche Regierung. Allerdings machte er sich rasch Feinde in der deutschen Kolonialverwaltung. So kritisierte er z.B., dass die einheimische Bevölkerung für „ein jedes geringes Vergehen in Zivil- oder Strafprozessen mittels einer Seekuhpeitsche oder eines dicken in Kohlenteer eingetauchten und im scharfen Sande (umhüllten) und steifgetrockneten Tau ohne Rücksicht der Person mit 25 Hieben gepeitscht“[10] wurde. Auf Grund der Kritik wurde Mpondo Akwa von Siedler*innen verfolgt, und wegen Meinungsverschiedenheiten kündigte er seine Stelle bei der Kolonialverwaltung.[11] Im Jahr 1898 dann wurde ihm vorgeworfen, einen Aufstand gegen die Kolonialregierung angezettelt zu haben.[12] 1902 kehrte Mpondo Akwa nach Deutschland zurück, um dort über die Widerstände gegen das Kolonialsystem in Kamerun zu berichten.[13] Hierbei griff er auf den Rechtsweg zurück.[14] Später wurde er mehrfach inhaftiert, z.B. wegen angeblichen Kreditbetrugs,[15] und seine Familie konnte ihn nur noch heimlich finanziell unterstützen.[16] Im Jahr 1911 reiste Mpondo Akwa wieder nach Douala, wo er von seinen Landsleuten als künftiger Herrscher empfangen wurde, der das Land von deutscher Herrschaft befreien und die britische Autorität wiederherstellen sollte.[17] Gouverneur Theodor Seitz betonte wiederholt anlässlich Petitionen[18] und Gerichtsverfahren in Deutschland, dass sowohl Mpondo Akwa als auch sein Vater eine ernsthafte Gefahr für die deutsche Herrschaft in Douala darstellten, auch auf Grund ihrer wirtschaftlichen Pläne zur Zentralisierung von Handel und Landwirtschaft in der Küstenregion. Politisch strebte Mpondo Akwa nicht die vollständige Abschaffung des Kolonialsystems an, sondern setzte sich für eine Verwaltung ein, die durch die schrittweise Einbindung lokaler Vertreter in die Entscheidungsfindung gekennzeichnet sein sollte. Seine Vorstellung von einem unabhängigen Douala-Staat, der die präkoloniale Vorherrschaft über benachbarte ethnische Gruppen wiederherstellen sollte, blieb Vision.[19]
Mpondo Akwa als entschiedener Gegner der Siedler*innen erlangte lokale Berühmtheit. Seine steigende Beliebtheit bei der einheimischen Bevölkerung basierte nicht nur auf seinem königlichen Status, sondern auch auf seinen rechtlichen und politischen Erfolgen in Deutschland.[20] Diese waren wohl auch der Grund, warum er von der deutschen Kolonialregierung wegen verdächtiger Spendenaktionen und seiner politischen Haltung genauer untersucht wurde. In Mpondo Akwas Palast wurden Briefwechsel gefunden, die nicht nur seine Kritik am deutschen Kolonialismus belegen, sondern auch Pläne zum Sturz von Gouverneur von Puttkamer sowie Verbindungen zu deutschen Parlamentariern wie Mathias Erzberger und August Bebel, bekannte Kritiker des deutschen Kolonialregimes.[21] Im Jahr 1911 wurde der König daraufhin enteignet. Diese Behandlung führte wiederum zu Unruhen in Douala und schließlich am 22. September 1911 zu seiner Verhaftung, zusammen mit seinem Vater. Grundlage für diese Verhaftung waren falsche Anschuldigungen seines Bruders, Chief Dibusi Dikas, der behauptete, Mpondo Akwa habe Waffen mitgebracht, um einen Aufstand zu provozieren und Kamerun an die Briten zu übergeben. Angeblich habe er auch Kontakt zum britischen König Edward aufgenommen, um eine britische Übernahme von Kamerun zu unterstützen. Mpondo Akwa wurde im Sommer 1912 zu einer achtmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er in einem Kolonialgefängnis in Banyo an der Grenze zu Nigeria absitzen sollte. Nach einem fehlgeschlagenen Fluchtversuch im April 1913 wurde der Prinz von Banyo nach Ngaoundéré[22] verbracht und im Juni desselben Jahres zu weiteren drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er überlebte die Gefangenschaft nicht: 1914 wurde er von seinen Bewachern erschossen, angeblich bei einem erneuten Fluchtversuch. Mpondo Akwa stellt bis heute einen wichtigen Kameruner Erinnerungsort für den Widerstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft dar. [23]
[1] „Douala“ bezieht sich auf die Hafenstadt, während „Duala“ auf die Gruppe von Kaufleuten hinweist, die dort ansässig waren. Das Hamburger Fremdenblatt berichtete im Jahr 1905, dass Mpondo im Jahr 1874 geboren worden war. In der Alphabetischen Meldekartei Groß-Altona wurde jedoch das Jahr 1879 als Geburtsjahr angegeben. Siehe: The Story of Mpondo Akwa (1905): Background to the Trial, 16.10.2006, http://www.peuplesawa.com/fr/bnnews.php?nid=468&vip=603&sites=0 (Promoter der Seite: Metusala Dikobe) .
[2] Aitken, Robbie: Black Germany. Zur Entstehung einer Schwarzen Community in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 12: Schwarz und Deutsch, 18.03.2022, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/schwarz-und-deutsch-2022/506169/black-germany/(zuletzt abgerufen am 11.10.2023).
[3] Siehe Blogbeitrag zu Franz Anton Schran von Aminah Schneider.
[4] Eberhardt, Jonas: „Schwarze Menschen“ aus Afrika in Paderborn in der Zeit des Kolonialismus. In: Die Warte. Heimatzeitschrift für die Kreise Paderborn und Höxter 195(2022), S. 5 – 9 bis, hier S. 6.
[5] Ebd.
[6] Westfälisches Volksblatt, 15.06.1888.
[7] Nyada, Germain: Mpondo Akwa Nya Bonambela (1875-1914) or how to shape colonial amnesia, Kamerun 2022, S. 388.
[8] Ebd.
[9] Ebd.
[10] Aus den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Reichstags, 11. Legislaturperiode, 4. Anlageband, 21. Sitzung, Berlin 20.03.1906, S. 2170 (B), online einzusehen via: https://daten.digitale-sammlungen.de/~db//bsb00002826/images/index.html?id=00002826&groesser=&fip=eayayztsewqeayaxssdasyztsqrseayaxs&no=&seite=00377&koordinaten=x1:90×2:65y1:93y2:66—x1:74×2:70y1:77y2:71—x1:62×2:74y1:65y2:75—x1:85×2:74y1:88y2:75 (zuletzt abgerufen am 09.10.2023)
[11] Nyada: Mpondo Akwa Nya Bonambela, S. 389.
[12] Ebd.
[13] The Story of Mpondo Akwa (1905): Background to the Trial.
[14] Oguntoye, Katharina: Prekäre Subjekte – Die afrikanische Diaspora in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus, in: Freiburg-Postkolonial.de, online verfügbar via: https://www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/2009-Oguntoye-afrikanische-Diaspora.htm (zuletztabgerufen am 09.10.2023).
[15] Nyada: Mpondo Akwa Nya Bonambela, S. 389.
[16] Ebd.
[17] Viele Menschen betrachteten die britische Verwaltung als die bessere Option, da sie die Verwaltungspraktiken in den angrenzenden britischen und französischen Kolonien als weniger belastend empfanden. Vgl.: Authaler, Caroline: Das völkerrechtliche Ende des Deutschen Kolonialreichs. Globale Neuordnung und transnationale Debatten in den 1920er Jahren und ihre Nachwirkungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 69 (2019) 40-42, S. 4 – 10, hier S. 8.
[18] Der Prinz war Teil einer Delegation, die beabsichtigte, persönlich Kaiser Wilhelm II. zu treffen. Sie planten, ihn über ihre vollständige Ablehnung des kolonialen Systems in Kamerun zu informieren. Im Rahmen dieser Bemühungen reichten sie eine Petition ein, die von 28 Häuptlingen der Akwa-Familie unterzeichnet war. Vgl.: Germain, S. 389. In der Petition wiesen sie auf Ungerechtigkeiten und Brutalitäten von Puttkamers hin, darunter die bereits erwähnten Stockschläge sowie der Kauf von Mädchen aus ihren Familien. Die Petition forderte ein Ende dieser Praktiken. Als von Puttkamer von der Petition erfuhr, erhob er Anklage wegen Verleumdung und Beleidigung gegen die Unterzeichner, die daraufhin in Untersuchungshaft genommen wurden. Aus den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Reichstags, 11. Legislaturperiode, 4. Anlageband, 70. Sitzung, Berlin 29.03.1906, S. 2137 (C).
[19] Nyada: Mpondo Akwa Nyae Bonambela, S. 395.
[20] Ebd.
[21] Ebd.
[22] Ngaoundéré ist eine Stadt im Zentrum Kameruns, Hauptstadt der Region Adamawa. Sie wurde 1901 von den deutschen Kolonialtruppen besetzt.
[23] 1919 sammelte ein nigerianischer Seemann in Britisch-Guayana Geld mit der Behauptung, Mpundo Akwa zu sein, vgl. Nyada: Mpondo Akwa Nya Bonambela, S. 395f.