Bereits in der frühen Neuzeit schmückten sich wohlhabende Adelsfamilien in Deutschland und anderen europäischen Ländern gerne mit afrikanischen Pagen und Bediensteten als Statussymbolen, und diese Tradition blieb bis ins 19. Jahrhundert ungebrochen und wurde sogar von Bürgerlichen adaptiert.[1] Im kurzen deutschen Kolonialzeitalter zwischen 1884 bis 1914 stammten viele afrikanische Bedienstete aus den deutschen Kolonien Kamerun, Togo, Deutsch-West- und Ostafrika.[2] Insbesondere Unternehmer und Händler brachten gerne Menschen anderer Hautfarbe als Mitbringsel, eine Art Trophäe, nach Europa mit. Auch deutsche Missionar*innen und Forscher führten Afrikaner*innen nach Deutschland. Einer von ihnen war Allagabo Timm. Er wurde von dem Naturwissenschaftler Georg Schweinfurth[3] „mitgenommen“ und bei dessen angeheiratetem Verwandten, dem „Afrikaforscher“ und Mediziner Gerhard Rohlfs[4], untergebracht.
Schweinfurth hielt sich des Öfteren in den Handelsniederlassungen arabischer Elfenbein- und Sklavenhändler auf und reiste in Karawanen mit. Im Frühjahr 1869 wurden ihm von seinen Geschäftspartnern drei Sklavenjungen als Bedienstete überlassen. Die genauen Gründe für die Überlassung sind unbekannt. Diese Jungen waren Giabar und Amber (über die kaum Informationen vorliegen) sowie Allagabo Timm.[5] Während Allagabo Timm aus der Gemeinschaft der Bongo stammte, ist über die Herkunft der beiden anderen Jungen nichts bekannt. Allagabo hatte zum Zeitpunkt seiner Übergabe an Schweinfurth schon länger in Gefangenschaft gelebt: der ursprünglich nach der Mimosenart ‚Lebbe‘ benannte Junge war schon als Kind aus seinem Dorf entführt und in ‚Tihm‘ umbenannt worden, was so viel wie ‚Baum‘ bedeutet. Später erhielt er von einem arabischen Sklavenhändler den Beinamen ‚Allagabo‘, was ‚Gottesgeschenk‘ bedeutet.[6]
Im Gegensatz zu den beiden anderen Jungen nahm Schweinfurth Allagabo Timm mit, zum Andenken an „manches Vergangene“, wie er seiner Mutter am 18.11.1871 schrieb.[7] In seinen Aufzeichnungen erwähnte er gelegentlich den Jungen und betonte, dass Allagabo Timm sich nun in einer glücklichen Position befände. Er habe Allagabo bei sich behalten und plante ihn mit nach Deutschland zu nehmen, weil „er von Vielen, Vielen der bei weitem Intelligenteste zu sein schien und in dem passenden Alter sich befindet sowohl sich zu akklimatisieren als auch zu zivilisieren.“[8] Nach drei Jahren in seiner Gesellschaft, in denen die beiden durch verschiedene Teile Afrikas, darunter Ägypten, gereist waren, habe Allagabo seine ursprüngliche Heimat fast vergessen, schrieb Schweinfurth 1871 an seine Mutter. [9] Allerdings war es Schweinfurth nach der Rückkehr nach Deutschland nicht möglich, Allagabo weiterhin in seiner Obhut zu behalten. Deshalb beauftragte er Rohlfs, den Mann seiner Nichte, mit dem er in regelmäßigem Briefverkehr stand, Allagabo bei sich in Weimar aufzunehmen. Die finanzielle Verantwortung für Allagabo Timms Unterhalt lag jedoch weiterhin bei Georg Schweinfurth. Es scheint, dass Schweinfurth, als er später in finanzielle Schwierigkeiten geriet, versuchte, sich dieser Verpflichtung zu entziehen. In einem Brief aus dem Jahr 1877, den er aus Kairo an Rohlfs schickte, schrieb er:
„Mit Allagabo sehe ich in Zukunft immer noch keine Pläne auftauchen. Als Schwarzer wird er nie in die deutsche Arbeitswelt hineinpassen. Hier erfordert seine neue Installierung neue Geldopfer […]. Wo ich noch das eigene Geld auftreiben werde, ist mir ein Rätsel. – Den Betrag, den ich Dir für Allagabo schulde, werde ich Dir entweder von Köln oder von Leipzig aus zusenden lassen.“[10]
Der weitere Lebensweg von Allagabo Timm nach seiner Taufe in Weimar[11] ist aus den Quellen nicht genau rekonstruierbar.[12] Nachdem er eine Weile in Hamburg die Schule besucht hatte, erreichte er Minden, was durch einen Eintrag im Anmelderegister von 1885 oder 1886 belegt ist. Er lebte zunächst beim einem Herrn Menzel, der Aussteller und Reisender war. Wir können nur mutmaßen, ob dieser Allagabo als exotisches Ausstellungsobjekt im Rahmen von völkerschauähnlichen Veranstaltungen einsetzte. Im Jahr 1888 war er dann bei dem Materialwarenhändler W. Kreimeier in Minden gemeldet.[13]Anschließend scheint er aus Minden abgereist zu sein, kehrte aber laut dem Briefwechsel zwischen Seidel (einem Lehrer Allagabos) und Rohlfs 1889 wieder dorthin zurück, bevor er sich im folgenden Jahr endgültig abmeldete.[14] Fünf Jahre später ist sein Tod durch einen Brief Schweinfurths an Rohlfs aus Kairo belegt:
„Ich war heute mit der Erbgroßherzogin Pauline bei den Pyramiden, und sie unterhielt sich viel mit mir, wobei namentlich von Dir die Rede war… Von der Frau Erbgroßherzogin erfuhr ich heute, dass Allagabo im vorigen Jahr gestorben sein soll, und dass er rührende Briefe an seine durchlauchten Paten gerichtet haben soll. Er scheint am Trunk zu Grunde gegangen zu sein. – Ob das wohl stimmt?“[15]
Zum Zeitpunkt seines Todes dürfte Allagabo ca. 30 Jahre alt gewesen sein.
[1] Anne Kuhlmann-Smirnov: Schwarze Europäer im alten Reich: Handel, Migration, Hof. Göttingen 2013, S. 60.
[2] Robbie Aitken: Black Germany. Zur Entstehung einer Schwarzen Community in Deutschland, in: Aus Politik und Zeigtgeschichte, Bundeszentrale für politische Bildung, 18.03.2022, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/schwarz-und-deutsch-2022/506169/black-germany/#footnote-target-10 (zuletzt abgerufen am 09.02.2024).
[3] Georg Schweinfurth, am 29.12.1836 in Riga geboren, studierte Naturwissenschaften und reiste zwischen 1864 und 1866 zum ersten Mal nach Ägypten. Später tat er sich bei der Erforschung des Stromgebiets des Bahr al-Ghazal (einer Region im Sudan) am oberen Nil hervor. 1875 gründete er die geographische Gesellschaft in Kairo. Am 19.09.1925 verstarb er in Berlin. Van der Heyden, Ulrich; Gnettner, Horst (Hg.): Allagabo Tim. Der Schicksalsweg eines Afrikaners in Deutschland, Berlin 2008, S. 26-29.
[4] Gerhard Rohlfs wurde am 14. April 1831 in einem Stadtteil von Bremen geboren. Obwohl er von 1852 bis 1853 Medizin studierte, erlangte er nie einen Abschluss in diesem Fach. Im Jahr 1855 trat er der französischen Fremdenlegion in Algerien bei und erlernte die arabische Sprache. Im Jahr 1861 tarnte er sich als gläubiger Moslem und wurde vom Sultan zum Oberarzt der marokkanischen Armee ernannt. Bekannt wurde er durch seine ausgedehnte Afrikareise von 1865 bis 1867. Ab 1884 war er als Kolonialbeamter in Sansibar tätig. 1885 wurde er jedoch aus dem Dienst abberufen kehrte nach Deutschland zurück. Bereits im Jahr 1870 hatte er eine Nichte von Georg Schweinfurth geheiratet und mit ihr eine gemeinsame Wohnung in Weimar, in der später auch Allagabo Timm lebte. Rohlfs verstarb am 2. Juni 1896 bei Godesberg. Vgl.: Van der Heyden, Ulrich; Gnettner, Horst (Hgg): Allagabo Tim. Der Schicksalsweg eines Afrikaners in Deutschland, Berlin 2008, S. 29-33.
[5] Ebd. S. 21.
[6] Ebd. S. 21.
[7] Schweinfurth an seine Mutter, 18.11.1871, in: Van der Heyden, Ulrich; Gnettner, Horst (Hg.): Allagabo Tim, S. 37.
[8] Schweinfurth an seine Mutter, 21.12.1871, in: Gnennter, Horst: Tim Allagabo. Der Mohr von Weimar. Das Schicksal eines Bongo-Negers geschildert anhand von Briefen der Afrikaforscher Gerhard Rohlfs. Bremen 2002, S. 8f.
[9] Schweinfurth an seine Mutter, 18.11.1871, in: Van der Heyden, Ulrich; Gnettner, Horst (Hg.): Allagabo Tim, S. 37.
[10] Schweinfurth an Rohlfs,12.01.1877, in: Van der Heyden, Ulrich; Gnettner, Horst (Hg.): Allagabo Tim, S. 77.
[11] Bielefelder Wochenblatt, 25.07.1874.
[12] Zwischen 1883 und 1888 wurde er in der Korrespondenz zwischen Rohlfs und Schweinfurth nicht erwähnt, siehe Van der Heyden, Ulrich; Gnettner, Horst (Hg.): Allagabo Tim, S. 35.
[13] Rohlfs an Schweinfurth, 18.1.188, in: Van der Heyden, Ulrich; Gnettner, Horst (Hg.): Allagabo Tim, S. 110
[14] Seidel an Rohlfs, 14.01.1889, in: Van der Heyden, Ulrich; Gnettner, Horst (Hg.): Allagabo Tim, S.111.
[15] Schweinfurth an Rohlfs, 16.2.1896, in: Van der Heyden, Ulrich; Gnettner, Horst (Hg.): Allagabo Tim, S. 112.