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Vom Sauerland nach Paderborn, über Kamerun ins „Nirgendwo“ – das „Mysterium“ Franz Anton Schran (1850-1895?)

Beschäftigt man sich mit der kolonialen Vergangenheit Paderborns, taucht ein Name immer wieder auf: Franz Anton Schran. Der Maschinist, Bau- und Regierungsinspektor war in Kamerun und Liberia tätig, von wo er auch vier schwarze Jungen mit in die Stadt brachte. Das  Westfälische Volksblatt beschrieb den geachteten und fleißigen Bürger 1888 als passionierten Kolonialisten:

“Man findet allgemein die Ansicht vertreten, daß unsere Colonial-Bestrebungen in West-Afrika als gescheitert und verfehlt zu betrachten sind. Dieser Auffassung tritt ganz entschieden der jetzt aus Kamerun zurückgekehrte Regierungs-Secretär Herr Ingenieur Franz Schran entgegen, der überzeugt ist, daß dieses Land für Deutschland noch eine große Zukunft haben wird. […] So wird auch Paderborn in die Lage kommen, wenn auch in ganz bescheidenem Maße, das Seinige zu unserem Colonial- Bestrebungen beizutragen.[1]

Nur wenige Jahre später ermittelten aber sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft gegen Schran. Wie konnte es dahin kommen?

Schran’s rasanter beruflicher Aufstieg im kolonialen Kontext

Geboren am 07. April 1850 in Oberkirchen an der Lenne im Hochsauerland-Kreis, besuchte Franz Schran zunächst die Rektoratsschule in Schmallenberg und schließlich die Gewerbeschule erster Ordnung in Münster. Sein Vater besaß mehrere Hammerwerke, Schiefer-, Blei-, und Eisensteingruben sowie eine Wagenachsen-Fabrik. Während der Schulferien und nach Beendigung der schulischen Laufbahn erlernte Schrank das Maurer- und Zimmerer-Gewerbe. Da er darüber auch Kenntnisse als Dampfmaschinist, Lokomotivführer und Kesselschmied hatte, fand er Beschäftigung bei der „Association Internationale du Congo.“[2] Im Jahr 1881 schloss er sich der Expedition von Henry Morten Stanley in den Kongo an und wurde dort zwei Jahre später als Ingenieur für eine Handelsniederlassung der Firma Woermann eingestellt, die bereits im Jahr 1837 gegründet worden war und sich zunächst auf den Handel mit Leinen und Töpferwaren spezialisiert hatte. Im Zuge des aufkommenden Afrikahandels etablierte die Firma zahlreiche Niederlassungen, darunter in Gabun und Kamerun.[3] Im Jahr 1887, noch während der Amtszeit von Reichskanzler Bismarck, wechselte Schran von der Privatwirtschaft in den Staatsdienst: Er übernahm eine Stelle als Sekretär der deutschen Kolonialregierung in Kamerun. Die berufliche Anerkennung blieb nicht aus, wie der Aachener Anzeiger berichtete:

Als Schran im Frühjahr 1888 einen Erholungs-Urlaub nach Deutschland antrat, sprach der Gouverneur v. Soden in einem Berichte an den damaligen Decernenten für die Kolonien, Geh. Rat Kranel, jetzigen Gesandten in Buenos Aires, seine volle Zufriedenheit über die Leistungen Schrans aus und bat den Decernenten, auch seinerseits Herrn Schran ein Wort der Anerkennung zu sagen und demselben, wenn möglich, den Titel als Bauinspektor oder Baurat zu verschaffen.[4]

Wegen seiner beruflichen Verdienste erhielt Schran schließlich am 13. Juli 1888 den Titel eines Bauinspektors, womit ihm die Verantwortung für das gesamte Bauwesens in Kamerun übertragen wurde. Doch die Anerkennung beschränkte sich nicht nur auf sein berufliches Geschick, sondern auch seine körperliche Widerstandsfähigkeit gegenüber den extremen klimatischen Bedingungen in Afrika fand Beachtung: „[…] man freute sich, daß sein Körper dem mörderischen Klima erfolgreich Stand zu halten schien.“[5] In seinem Lebenslauf berichtete Schran von seinem Alltag in der Kolonie, auch von einer scheinbar alltäglichen Situation, in der 250 Einheimische Wägen mit Schiffsteilen mithilfe von Zugseilen ziehen mussten, wobei ihr Zusammenbrechen nicht zu verhindern gewesen sei.[6]

Die Brücke zwischen zwei „Welten“: Franz Schran und die Verbindung zu Paderborn

Seinen Heimaturlaub im Jahr 1888 wollte Schran wie üblich in Paderborn verbringen, wo seine Frau Franziska Drees[7] lebte – sie begleitete ihn nicht nach Kamerun. Diesmal aber brachte er Begleitung mit: Die Deutsche Kolonialzeitung berichtete am 30. Juni 1888:

„Unter den Passagieren, welche mit dem letzten Woermannschen Dampfer aus Afrika herübergekommen sind, war auch der kaiserliche Regierungssekretär beim Gouvernement in Kamerun, Ingenieur Schran, welcher den Dampfer in Havre verlassen hatte, um von dort die Landreise zu machen, hier eingetroffen um seine Schutzbefohlenen in Gestalt von sechs jungen Afrikanern mit in seine westfälische Heimat zu nehmen.“[8]

Auch das Paderborner „Westfälische Volksblatt“ berichtete von der Ankunft der jungen Männer, auf die die Paderborner Bevölkerung mit großer Aufregung reagierte. Die Zeitung beschrieb eine außerordentliche Anziehungskraft auf die Einwohner:innen und berichtete von „tumultartigen Scenen“[9], die bei den ortsansässigen Bewohner:innen ausgelöst wurden. Während aber die Deutsche Kolonialzeitung von sechs Jungen aus Afrika berichtete, war im Westfälischen Volksblatt lediglich von vieren die Rede. Hatte Schran zwei von ihnen irgendwo anders hingebracht? Die vier Jungen, über die das Westfälische Volksblatt berichtete, waren 9-13 Jahre alt. Sie stammten aus Kamerun und Liberia und hießen (vor ihrer Taufe) Mpondo Akwa, Joseph Timba, Dagué und Akwa M’bange. Nach ihrer Ankunft fanden sie zunächst vorübergehend Unterkunft in der Gaststätte (und Kolonialwarenhandlung) in der Giersstraße 31, die heute als Gaststätte „Akademie“ bekannt ist. Dort wurden sie von Schran‘s Schwager, Franz Drees beherbergt. Ihr weiteres Schicksal hat Jonas Eberhardt zu recherchieren versucht.[10]

Die Giersstraße um 1914. Vorne Rechts ist die Gaststätte, heute “Akka”, zu sehen, in der u. a. Mpondo Akwa vorrübergehend Unterkunft fand.

Rätselhafter Abstieg: Das Verschwinden ins „Nirgendwo“

Auf Grund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen sah Schran sich zwei Jahre später gezwungen, seinen Dienst in Kamerun zu quittieren, was seinem hervorragenden Ruf aber zunächst keinen Abbruch tat. Aufgrund einer erneuten Empfehlung von Gouverneur Julius von Soden und Geheimem Rat August Busse aus dem Reichsamt des Inneren, welche eine Beschäftigung von Schran als besonders wünschenswert erachteten, war er darauffolgend zwischen 1890 und 1895 für die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes tätig. Auch hier erfüllte er seine Aufgaben „zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten […].“[11] Allgemein galt Schran als „gut empfohlener, tüchtiger Beamter“, was die nachfolgenden Ereignisse nur noch rätselhafter macht.

Im Jahr 1895 verschwand Franz Schran, um dessen übermäßigen Alkoholgenuss sich bereits Gerüchte rankten,[12] plötzlich und unerwartet aus Berlin, jedoch nicht ohne „krampfhafte Versuche“,  sich „Reisegeld zu verschaffen“, wie der Aachener Anzeiger es formulierte. Die Zeitung berichtete von einer geplanten Unterschlagung in Höhe von 50.000 Mark. Diese Summe wollte Schran im Kontext der Vorbereitung zur Deutschen Kolonialausstellung in Berlin von einem Weinhändler als Kaution für die Erteilung einer Ausschankerlaubnis im Treptower Park kassieren. Nach einer Besichtigung vor Ort nahm der Weinhändler jedoch von dem Geschäft Abstand.[13] Außerdem wurde Schran beschuldigt, als Vorsitzender des Arbeitsausschusses für die Deutsche Kolonialausstellung im Jahre 1896 10.000 Reichsmark für die Beschaffung von Ausstellungsobjekten unterschlagen zu haben. Einer Aufforderung zur öffentlichen Darlegung seiner Abrechnung war er am 26. September 1895 aufgrund von Unwohlsein nicht nachgekommen. Als Schran zum Wiederholungstermin am 1. Oktober 1895 wieder nicht erschien, begaben sich Beamte zu seiner Wohnung. Dort trafen sie lediglich auf Schran’s Vermieterin, der er 500 Reichsmark schuldete, und der er erzählt hatte, dass er zu einer Schiffsabnahme nach Wilhelmshaven müsse.[14] Ab diesem Zeitpunkt verliert sich Schrans Spur.

Das Wittener Tagesblatt berichtete von einer steckbrieflichen Verfolgung des Flüchtigen und bemerkte tadelnd: „Daß jene Ernennung [zum Bauinspektor] auf die Wertschätzung des Mannes und auf das Maß des Vertrauens, das das Hauptkomitee der Berliner Gewerbe- Ausstellung ihm geschenkt hat, nicht ohne Einfluß gewesen ist, liegt auf der Hand.“[15] Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung berichtete im März des folgenden Jahres von der Verhandlung gegen Schran in Abwesenheit vor der Reichsdisziplinarkammer in Potsdam: „Es liegt ihm zur Last, daß er unter fälschlichen Vorspielungen seinen Dienst böswillig verlassen und deshalb gegen die Bestimmungen […] betr. die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten verstoßen hat.“[16] Er wurde aus dem Dienst entlassen, blieb aber weiterhin verschwunden. Seine in Paderborn wohnhafte Frau, von er bereits seit einigen Jahren getrennt lebte, konnte keine Auskunft geben. Die beiden hatten zwei Söhne, die in Leipzig erzogen wurden, und für die Schran vor seinem Verschwinden aufgekommen war, was seine Schulden noch erhöhte.[17]

Zahlreiche Zeitungsberichte vermochten das „Mysterium Schran“ nicht zu entschlüsseln. Warum der begeisterte Anhänger des Kolonialgedankens und tüchtige Beamte, nachdem er sich aus bescheidenen Lebensverhältnissen hochgearbeitet und durch eine verantwortungsbewusste Arbeitshaltung ausgezeichnet hatte, auf diese Weise verschwand, darüber können wir nur spekulieren.


[1] Westfälisches Volksblatt, 15.06.1888.

[2] Aachener Anzeiger, 22.10.1895.

[3] C. Woermann, Geschichte, https://www.c-woermann.de/deutsch/geschichte, Zugriff am 15.08.2023; Todzi, Kim Sebastian: Unternehmen Weltaneignung. Der Woermann-Konzern und der deutsche Kolonialismus 1837-1916, Göttingen 2023.

[4] Aachener Anzeiger, 22.10.1895.

[5] Ebd.

[6] Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Personalakte Franz Anton Johann Schran, PA 1 Nr. 13816 (10).

[7] Ebd., PA 1 Nr. 13815 (7).

[8] Deutsche Kolonialzeitung, 30.06.1888.

[9] Westfälisches Volksblatt, 15. 6. 1888.

[10] Eberhardt, Jonas, „Schwarze Menschen“ aus Afrika in Paderborn in der Zeit des Kolonialismus, in: Die Warte 195 (2022), S. 5-9.

[11] Aachener Anzeiger, 22.10.1895.

[12] Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 12.03.1896.

[13] Aachener Anzeiger, 22.10.1895.

[14] Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 12.03.1896.

[15] Wittener Tagesblatt, 21.10.1895.

[16] Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 12.03.1896.

[17] Bürger-Zeitung für Düsseldorf, 15.10.1895.